Konzerne sind keine unbeweglichen Tanker, sondern vielmehr Drohnenschwarme

Champion Nr. 4: Philip Horvàth

Mein heutiger Digital Responsibility Champion ist Philip Horváth. Er ist „Cultural Catalyst“ und schafft mit Visionären neue kulturelle Betriebssysteme für eine unsichere und volatile Zukunft. Er inspiriert durch transformatives „Storytelling“ und gibt Führungskräften und ihren Teams neue Metaphern und Mittel in die Hand, um sich selbst, und um gemeinsam die Zukunft zu gestalten.

 

In unserem gemeinsamen Interview mit Philip Horváth geht es darum wie Menschen, und vor allem CEOs, dazu intrinsisch motiviert werden können ethisch-korrekt zu handeln bzw. einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Denn digitale Verantwortung geht mit einer kulturellen Transformation einher. Ohne diese (betriebliche) kulturelle Transformation gelingt es nicht die digitale Verantwortung in die Organisation zu verankern. Wie gelingt es also den CEOs diesen Wandel zu verinnerlichen und vorzuleben? Kulturelle Transformation bedarf persönlicher Transformation.

Eigentlich müssen wir nur „ich“ sein, um Zukunft zu gestalten. Das wäre die sehr, sehr vereinfachte Zusammenfassung meines Interviews mit Philip Horváth. Aber wie einfach ist es „ich“ zu sein in einer Welt, in der alle eine Vorstellung davon haben wie oder wer mein „ich“ sein soll?

 

Wir sind extern geprägt. Wir setzen uns nicht mit uns selbst auseinander – warum nicht? Und warum meinst Du dass wir genau das müssen?

 

„Wenn man einen Apfelkuchen machen will, muss man mit dem Universum anfangen.“

 

Okay, ganz so abstrakt wie Carl Sagen wollen wir es nicht angehen. Aber es ist so: wir sind Menschen aus Zellen, von denen ein Teil via DNA mit einem Stammdatensatz an Informationen ausgestattet ist und den Rest Lernen wir. Evolution eben.

Ein Großteil der Menschen lebt auf dem „Ich-sollte“-Level. Wir befolgen Regeln. Wir werden von außen bewegt.  Selbstautonome Menschen sind viel seltener. Oft sind es Menschen, die bereits in ihrer Kindheit „anders“ waren. Da sie nicht dazu gehört haben, mussten sie sich früh mit sich selbst beschäftigen – und haben ihr Ich früher aktiviert. Menschen, die das nicht müssen, weil sie eben regelkonform gut durchs Leben gekommen sind, erfahren dieses Ich oft erst sehr spät – das Phänomen der Midlifecrisis ist ein solcher Ich-Bewusstseins-Prozess.

„Menschen, die… regelkonform gut durchs Leben gekommen sind, erfahren dieses Ich oft erst sehr spät – das Phänomen der Midlifecrisis ist ein solcher Ich-Bewusstseins-Prozess“

In unserem ganzen System wird belohnt, wenn du Experte bist. Schon im Schulsystem wirst du belohnt, wenn du „die richtige“ Antwort weißt und konform bist. Das setzt sich fort in der Ausbildung, im Studium im Job. Und wer am meisten weiß, wer der beste Experte ist, der wird Chef.

Experten (am besten per Prof. Dr. Dr. als solche deutlich gekennzeichnet) wussten und wissen immer schon wo es lang geht, haben die Strategie gesetzt. Sie hatten das Wissen. Sonst keiner (ich überspitze).

Jetzt ist die Situation eine völlig andere: Keiner weiß mehr was abgeht. CEOs müssen sich jetzt fragen, wer sie eigentlich sind und wofür sie stehen – inmitten von Unsicherheit sind unsere Werte unser Wegweiser. Und dazu gehört eine neue Dimension des Bewusstseins und der Rolle in der Community – sei es die Familie, das Team, die Organisation oder eben die digital vernetzte und damit ganz eng zusammengerückte globale Gesellschaft mit unmittelbaren Wechselwirkungen.

 

Aber wie schaffe ich es nun in diese Dimension der Selbstwahrnehmung und Wertestiftung zu kommen?

Ich nutze hier das Bild des menschlichen Betriebssystems, das wir sukzessive in unserem Wachsen aktivieren: Von der Motorik und Sensorik, zu Emotionen, und dann zu Gedanken.

Das war bisher unsere letzte große Errungenschaft, die Erleuchtung: Descartes „Ich denke, also bin ich“ – Mensch als rationales (oder zumindest rational-begabtes) Wesen.

Jetzt wo Maschinen diese drei Aspekte abdecken, von Robotern, die physische Prozesse ausführen, zu AI, die durch Stimm- und Gesichtsanalyse Emotionen jetzt schon besser lesen kann als viele Psychologen, zu einem einfachen Taschenrechner, der schon lange besser darin ist, logisch zu sein, als wir.

Es Zeit, sich an Sokrates zu erinnern, der damals schon sagte: „ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Oder Faust’s: “ Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor… Und sehe, dass wir nichts wissen können!“

Wir haben einen Körper, Emotionen und Gedanken, aber es gibt mehr im menschlichen Betriebssystem. Wir haben relationale Intelligenz, die „ich“ und „nicht-ich“ bewusst erfährt.

Das ist die nächste Dimension in unserem Bewusstsein, die wir aktivieren können: In ein selbst-autorisierendes System, dessen ich mir selbst bewusst bin. In dem ich bewusst Verträge abschließe. In dem ich bewusst agiere und interagiere. Ich aktiviere mein ICH.

 

Wie schlagen wir jetzt die Brücke vom aktivierten Ich zum bewussten CEO?

Die Rolle der CEO´s oder eigentlich aller Menschen ist eine völlig andere geworden. Nehmen wir das Beispiel der Sprengung einer Bohrinsel. Früher war das eine semi-anonyme Entscheidung des „CEOs“ am Bürotisch, via Telefon, vielleicht auch schon via PC und Mail. Heute trifft ein Familienvater diese Entscheidung aus dem Homeoffice. Er sieht Bilder – seine Familie auch. Und die Tochter fragt, ob das, was er da tut, nicht eine Auswirkung auf ihre Zukunft hat und auf Nemo, den sie eben noch im Ozean hat schwimmen sehen. Das ist ein überzeichnetes Bild und zugleich auch wieder nicht – es zeigt, wie dicht Informationen zusammengerückt sind, wie plakativ Entscheidungen geworden sind, wie bewusst wir wahrnehmen und eben auch handeln müssen.

 „Wir müssen extrinsisch motivierte Prozessausführer in intrinsisch motivierte Wertschöpfer verwandeln.“

 

Ist es jetzt richtig Veränderung von CEO´s zu erwarten?

Kaum von den „Experten-CEO´s“, die gelernt haben, und immer noch glauben wollen, dass alles gut ist wie es war. Die aus der Vergangenheit schöpfen. Wohl aber von denen, die sagen: wichtig ist was wird, den Visionären. Den „Experten-CEOs“ können wir dafür kaum einen Vorwurf machen – zumindest nicht, solange wir mehrheitlich in den bekannten Dimensionen verhaftet sind. Richtig ist, was alle für richtig halten – und abweichendes Verhalten wird sanktioniert. In der Arbeitswelt erfahrungsgemäß durch eine Abmahnung, eine Kündigung, ein externe Veränderung.  Solange CEOs Rädchen einer Maschine sind – auch wenn sie „oben“ sind, können sie kaum ausbrechen. Solange nur Profit erwartet wird. Solange das Korsett nicht gesprengt wird.

Aber ich sehe Konzerne jetzt schon nicht mehr als diese unbeweglichen Tanker, sondern vielmehr als einen Drohnenschwarm. Und da zuckt mal einer ein Stück nach links und nach rechts, eine andere nach oben und unten und irgendwann bricht eine aus und eine andere folgt. Und dann bewegt sich das System. Ein Bienenschwarm tickt ähnlich. Alle tanzen gleich und von Zeit zu Zeit tanzt mal eine am Rand ihr neustes Abenteuer. Die meiste Zeit interessiert es keinen. Der Rest des Schwarms arbeitet ja – alle sind busy. Aber irgendwann stellen andere fest, dass das voll cool ist, was die eine da macht. Und dann geht es ab zur nächsten Futterstelle. Gemeinsam. Und so gelangen wir auf neue Stufen der Wertschöpfung.

„Dabei ist der CEO nicht der Kapitän des schweren Tankers, sondern eben Teil eines Schwarms“

Was uns dabei auch sehr bewusst sein muss: das erreichen wir nur zusammen. Darum fange ich in Unternehmen bei Transformationen auch nie Top down oder Bottom up, oder nach einem bestimmten System an, sondern nach genau diesem „Coalition of the eager“ Prinzip– wer zuckt schon? Wer tanzt schon einen neuen Takt? Wer will sich bewegen? Die muss man finden, zusammenbringen und dann folgt der Schwarm. So findet Veränderung statt. Da kann der CEO dabei sein – aber muss nicht. Wir müssen Räume für Möglichkeiten schaffen. Dabei ist der CEO nicht der Kapitän des schweren Tankers, sondern eben Teil eines Schwarms. Und er darf, wenn er bewusst handelt, darin jede Rolle einnehmen – die ruhige, die unruhige, die „das war schon immer so“ oder die „wir machen jetzt“. Dabei sollte er wie jeder andere verinnerlichen, dass er mit Impact handelt. Dass Weitsicht Pflicht ist.

 

Ist das vielleicht auch der Grund, warum viele CEOs nun von Purpose sprechen? Ist die Weitsicht „wir sind mehr purpose- und weniger Profit-orientiert“?

Mehrwert zu schaffen ist Grundlage. Nur mit Purpose überlebt kein Unternehmen, aber die Kennzahlen werden künftig andere sein. Es müssen andere sein. Es ist eben nicht mehr die Konzentration auf den letzten gesparten Euro.

Sondern zu dem Profit eines CEO muss in Zukunft gehören sich daran zu messen, ob er seiner Tochter am Abend beim Zubettgehen die Frage beantworten kann, ob er gut für ihre Zukunft gesorgt hat.

Natürlich müssen für solche KPI´s nicht nur die Experten CEO´s umdenken, sondern Unternehmen, Shareholder, die Gesellschaft. Es passiert ja schon, siehe die Briefe an CEOs von BlackRock’s Larry Fink, einem der größten Investitionsunternehmen der Welt, ESGs etc… Die CEO kann nur an solchen KPI´s gemessen werden, wenn alle in der Wertschöpfungskette neue Werte vertreten. Ein Produkt, dass die Zukunft unserer Kinder sichert, ist in der Regel zunächst teurer als eines, dass nur die KPI „Preis“ kennt.

Wir müssen kreativer werden in Lösungen.  Wenn wir uns Ich-bewusst sind, haben wir immer das Bewusstsein für alle anderen mit im Blick. Ich-Bewusstsein ist eben etwas völlig anders als Narzissmus (wo man das Ich des anderen ignoriert)..

„Zukunftskompetenz ist nicht Purpose ODER Profit. Es ist beides – aber Profit ist nicht mehr (nur) finanziell. Unser Profit der Zukunft wird Wertschöpfung sein im Sinne von gesellschaftlichem Impact.“

 

Wer oder was ist unser Zukunftsmotor?

Wir alle und unsere Leidenschaft.

Unser aktuelles Handeln – oder eben das der vielen Experten CEOs – bekommt immer mehr Regulative. Ob es Regierungen sind oder Fridays for Future, ob es Versicherungen sind oder Kunden, ob es Mitarbeitende sind oder eben unser Kinder – sie alle regulieren unser Business Modell und haben einen Impact auf Business Modelle der Zukunft. StartUps agieren jetzt schon ganz anders als Konzerne  – aber (wenn wir das Bild vom Tanker und dem Drohnenschwarm noch einmal aufgreifen): auch die kommen in Bewegung. Es ist ein gleichzeitiger Druck von innen und außen, der uns reguliert „bessere Menschen“ zu werden und Wert für andere zu schöpfen.

„Mein Leben schafft nur Sinn, wenn ich Wert schöpfe für andere und dadurch Zugehörigkeit fühle.“

Umso mehr müssen wir die Wechselwirkungen dieser Kräfte beobachten vor dem Hintergrund der Automatisierung und der Tatsache, dass ein Großteil der Menschen in ihrer aktuellen Tätigkeit überflüssig sein wird. Genau darum ist es so wichtig zu wissen, wer wir sind, und unsere eigene Schaffenskraft zu aktivieren. Weil wir uns nur dann verändern können. Und nicht verändert werden.

 

Das ist auch mein Plädoyer in Zusammenhang mit der Automatisierung und KI: „wir sind keine Opfer der Automatisierung, wir sind Gestalter unserer Zukunft“. Aber wie schaffen wir es, dass diese Botschaft überall ankommt?

 Intelligenz ist weltweit verteilt. Aber die Chancen sind (noch) nicht weltweit verteilt. Digitalisierung verändert das. Kinder auf dem afrikanischen Kontinent lernen via YouTube besser programmieren als Kinder in deutschen Schulen (in denen immer noch, wie bei mir vor über 30 Jahren, über den Nutzen von Informatik AGS diskutiert wird). Und die Kinder dort halten das für den völlig üblichen Weg zu lernen, sind nicht von überholten Lehrplänen geplagt. Während es wichtiges beständiges Wissen gibt, verändern sich die täglichen Sachen so schnell, dass sich nicht nur was, sondern auch wie wir Lernen ändern muss.

Diese Tatsache macht den Expertenstatus von CEO´s einfach zu einem sehr überholten Konstrukt.

Wissen ist Macht. Und das haben künftig alle Menschen. So sollten wir es nutzen. Wir haben unendliche Möglichkeiten. Um diese Komplexität zu managen muss jeder von uns bewusst in dieser Welt einen Platz finden (nicht räumlich, sondern eben auf dieser „ich“- Dimension).

Wir sind Drohnen in einem Schwarm und bleiben beweglich.

 

Zusammenfassend, was sind deine 4 Tipps zur Bewegung Richtung „Ich“-Dimension?

  1. Nimm dir ein paar Minuten am Anfang und am Ende des Tages für Dich. Stell Dir ein paar gute Reflexionsfragen (z.B. was will ich heute erreichen? Was ist mir heute wichtig? Oder Was habe ich heute erlebt oder gelernt?)
  2. Kultiviere Neugier. Was fasziniert Dich? Interessiert Dich? Begeistert Dich? Und auch: Was stößt Dich ab? Macht Dich wütend? Was in der Welt bewegt Dich?
  3. Sieh jede Begegnung, jedes Meeting als Gelegenheit zu wachsen. Frage Dich vorher und nachher, wer Du dabei sein willst, und orientiere Dich an der besten Version von Dir selbst (aber richte dich nicht)
  4. Schreib Deine Grabrede – wer willst Du eines Tages gewesen sein?